II. „Lebenswerk“

In der Laudatio für den an die Präses und EKD-Ratsvorsitzende Dr. h.c. Anette Kurschus verliehenen Predigtpreis für das „Lebenswerk“ gab Prof. Dr. Reinhard Schmidt-Rost der Juryentscheidung in folgender Weise seinen Ausdruck:

„Die Verleihung des Bonner ökumenischen Predigtpreises an die Leitungsperson einer großen evangelischen Landeskirche hat neben der persönlichen Würdigung genau diese durchaus demonstrative Absicht: Die Arbeit für die zentralen christlichen Narrative öffentlich wieder zur Geltung zu bringen, wie sie als sinnstiftende Erzählungen neu in Erinnerung gerufen werden können, so dass sie ihre orientierende Bedeutung auch für die postmoderne Gesellschaft aufweisen.“

Er führte aus, wie Präses Kurschus dies in Predigten wie etwa der zur Trauerfeier am 17. April 2015 im Gedenken an die Opfer eines Germanwings-Flugzeugabsturzes zum Ausdruck gebracht hat und erinnerte an ihre Rede zur Verleihung der Ehrendoktorwürde in 2019. Schmidt-Rost referierte Gehalte jener Rede und zitierte:

„,Von der Erfahrung ausgehend, dass ‚»Worte prägen, oft mehr als uns lieb ist‘, haben Sie gegen den Trend der Missachtung öffentlicher Äußerungen in christlichem Geist empfohlen, ‚besondere Sorgfalt auf die ›kürzeren geistlichen Texte‹ zu verwenden, um biblische Texte und biblisch bezeugte Erfahrungen in lebendige Beziehung zur Gegenwart zu setzen.

‚In der Tat traue ich‘“, so sagten Sie in Münster, „dem Wort der Predigt und der Andacht, dem ausdrücklichen geistlichen Akzent bei Grußworten, in schriftlichen Beiträgen und öffentlichen Ansprachen im sogenannten ›säkularen Kontext‹ buchstäblich Unglaubliches zu. Weil sie sich aus einem anderen Wort speisen und nähren – aus ›dem‹ Wort. Ich nenne es ›ein Zutrauen ins Unglaubliche.‹ Denn uns alle‘, so fahren Sie fort, verbindet ‚die vage Ahnung: Es gibt etwas über mein persönliches Glauben und Zweifeln, über mein begrenztes Verstehen und Nichtbegreifen hinaus. Etwas, das größer und stärker ist als meine Hoffnung. Gewisser als meine Erfahrung. Es muss mir von außen zugesagt werden, um mich – was niemand in der Hand hat als Gott allein – mit hineinzunehmen in den geheimnisvollen Erfahrungsraum des Unglaublichen.‘“

Präses und EKD-Ratsvorsitzende Dr. h.c. Annette Kurschus begann ihre Dankesrede biographisch und bemerkte: „Mit dem Hören fing alles an.“ Sie verwies auf die Musik im eigenen Elternhaus und wundervolle Erzählerinnen in der weiteren Familie und fuhr fort:

„Aus der Lust am Hören wuchs bei mir die Freude am Formulieren. Selber Worte finden, die aufhorchen lassen. Mit Sprache Bilder malen oder Gleichnisse wagen, Erlebtes in Geschichten kleiden, alt Vertrautes mit neuen Worten beschreiben, so dass es heilsam fremd wird.“

Sie zitierte Rose Ausländers Gedicht „Wir wohnen im Wort“ und bekannte:

„Ja, ich habe Lust daran, im Wort zu wohnen. Herberge zu nehmen darin. In seinem Raum zu leben und zu atmen, Fremdheit auszuhalten, Schönheit zu genießen, Wärme und Zartheit aufzunehmen, Weisung zu suchen. Und mitten darin eigene Worte zu finden, die das Wort nach draußen tragen. Und wenn dadurch Menschen berührt werden, wenn so das Wort Gehör findet in der Gesellschaft, in trostlose Herzen fällt und in erwartungsvolle Hirne – dann ist das ein unverfügbares Geschenk.

Ich nehme den Preis dankbar und mit Freude an – und weiß, an wen ich den Dank im stillen Kämmerlein weiterzugeben habe. Auf Erden wie in den Himmel. Dabei bin ich so verwegen zu glauben: Die mich beschenkt haben, die meinerseits im stillen Kämmerlein Bedankten, die freuen sich heute mit.“